Förderverein zur Erhaltung der Dorfkirche Landin e.V.

Geschichten aus Landin  -  Teil 4  (2020)

Hier werden nach und nach Anekdoten aus dem Dorfleben, Geschichten aus früheren Tagen und Erlebnisberichte von Bewohnern und Freunden von Landin veröffentlicht.

Wenn Sie eine eigene Geschichte beisteuern wollen, melden Sie sich bitte beim Förderverein. Wir freuen uns über neue Beiträge!


 

Der Landfilm kommt

Gerhard Wernicke aus Stechow
Filmvorführer

Da es nicht so viele kulturelle Höhepunkte nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) auf dem Dorf gab, hatte der Staat einen Lichtspielbetrieb gegründet. Gerhard Wernicke aus Stechow kam jede Woche einmal mit seinem Auto nach Landin. Er war als Filmvorführer beim Volkseigenen Betrieb (VEB) Kreislichtspielbetrieb Rathenow angestellt. Die Filmvorführer bespielten die festen Kinos in Rathenow, Premnitz und Rhinow und fuhren einmal pro Woche auf jedes Dorf. Gerhard Wernicke war zuständig für die Dörfer Stechow, Ferchesar, Kotzen, Kriele, Landin und Nennhausen.

In Landin wurde eine Leinwand in der Gaststätte Muchow sowie Lautsprecher und Stühle aufgestellt. Da half ihm immer ein Junge aus dem Dorf, der dann keinen Eintritt bezahlen musste. Alle Kinder gingen, so oft es möglich war, ins Kino. Das kostete für Kinder 50 Pfennige, aber für manche Familie war das schon viel Geld. Gerhard Wernicke stellte zwei Vorführgeräte vom Typ TK (Tonkino) 35 auf. Die Filme hatten eine Breite von 35 mm. Es gab immer eine Wochenschau, die auf eine Rolle Film passte und einen Vorfilm, der meist ein Naturfilm war, der auch auf eine Rolle passte und einen Hauptfilm, der meist auf sechs Rollen passte. Der Filmvorführer beschickte zwei Vorführgeräte und musste am Ende der ersten Rolle auf den zweiten Apparat umschalten, sodass die Zuschauer den nahtlosen Übergang nicht bemerkten. Es kamen so im Durchschnitt 30 - 40 Leute ins Landiner Kino. Um 17:00 Uhr war eine Vorstellung für Kinder und um 20:00 Uhr gab es eine Vorstellung für Erwachsene. Es wurden Filme mit Hans Albers oder „Der Kahn der fröhlichen Leute“ und viele russische Filme gezeigt.

Gerhard Wernicke 2020

Gerhard Wernicke erinnert sich an viele Kinder, die in das Landiner Kino zu ihm kamen. Die Kinder liebten die russischen Märchenfilme. Ein besonders schöner Film war eine Geschichte von Nikolai Wassiljewitsch Gogol. Sie hieß „Die Nacht vor Weihnachten.“

Die Geschichte spielt in einem kleinen Dorf in Russland. Die Jugendlichen des Dorfes ziehen am Abend vor Weihnachten durch das tiefverschneite Dorf mit einem Stern und singen Weihnachtslieder und erhalten Süßigkeiten. Der Schmied Vakula hat Bärenkräfte und hat in der Kirche den Teufel ganz furchterregend gemalt. Die Mutter von Vakula ist die Dorfschöne Solocha und außerdem eine Hexe. Sie reitet auf einen Besenstiel zum Himmel und sammelt die Sterne ein. Der Teufel will dem Dorf schaden und klaut den Mond vom Himmel und streut den Schnee umher, sodass man die Hand nicht vor Augen sehen kann. Er besucht die Hexe und sie stoßen auf das neue Jahr an. Den Herrgottswinkel hat die Hexe schnell mit einem Vorhang zugezogen. Wie sie beim Turteln sind, klopft es und der Bürgermeister kommt persönlich. Die Dorfschöne steckt den Teufel einfach in einen leeren Kohlensack. Kaum haben der Bürgermeister und die Solocha auf das neue Jahr angestoßen, klopft es schon wieder und der Pfarrer kommt. Die Dorfschöne steckt den Bürgermeister ebenfalls in einen leeren Kohlensack und empfängt den Pfarrer. Aber kaum wollten sie sich etwas amüsieren, klopft es schon wieder. Der reiche Kosak Tschub kommt und will mit Solocha auf das neue Jahr anstoßen. Da kommt der Sohn Vakula nach Hause zurück und so verschwindet der Vater der Oxana ebenfalls in einem Kohlensack.
Vakula ist ganz benommen. Er liebt Oxana die Tochter des reichen Kosaken Tschub und die hat ihm gerade in jugendlichem Übermut erklärt, sie würde ihn nur heiraten, wenn er ihr ein Paar Schuhe schenkt, die auch die Zarin trägt. Aber trotz dieser unüberwindbaren Hürde, geht sie ihm nicht aus dem Kopf. Er sieht die Säcke im Zimmer der Mutter und sagt sich: „Morgen ist Feiertag und dann diese Unordnung.“ Er nimmt alle Säcke und trägt sie nach draußen, wo er die schöne Oxana mit den anderen Jugendlichen rumtollen sieht. Er kann vor Eifersucht gar nicht hinkucken, aber Oxana kommt mit den Mädchen zu ihm und fragt ihn scheinheilig: “Na, hast du nun die Schuhe von der Zarin?“ und lacht und lacht und zieht mit den Mädchen weiter. Er dreht sich zu ihr um und ruft ihr zu: “Leb wohl Oxana! Such Dir einen anderen Bräutigam! Mich siehst Du nie wieder!“ Er nimmt einen von den Säcken und läuft zum Fluss. Eine Klatschbase beobachtet das und erzählt ihrer Nachbarin. Vakula hat sich ertränkt. Die Nachbarin erzählt den andern, er hätte sich erhängt. Und so ist das ganze Dorf überzeugt, Vakula hätte sich umgebracht. Oxana träumt von ihrem Bräutigam und nun wird ihr bewusst, was sie angerichtet hat und sie weint bitterlich.
Aber der Schmied Vakula hat den Teufel im Sack entdeckt und verprügelt ihn so lange, bis er verspricht mit ihm nach Sankt Petersburg zur Zarin zu fliegen. Und dort reiht er sich mit Hilfe des Teufels bei den Bojaren ein und geht zum Empfang der Zarin in das Winterpalais, wo er die Pracht und Herrlichkeit bewundert und meint: „Die Märchen lügen nicht – so schön ist es hier.“ Die Zarin fragt ihr Volk, was es denn wünsche und die Bojaren antworten: „Nichts Mütterchen Russland, wir haben von allem reichlich.“ Der Schmied Vakula vergisst vor lauter Glanz fast, was er wollte, aber der Teufel erinnert ihn und nun prescht er vor und sagt: “Doch ich habe einen Wunsch. Meine Braut möchte solche Schuhe haben, wie ihr habt.“ Da lacht die Zarin und der ganze Hofstaat und die Zarin überreicht ihm ein Paar Schuhe mit Diamanten besetzt. Vakula fliegt mit dem Teufel wieder zurück in sein Dorf und geht zu Oxana. Als sie ihn sieht, fällt sie fast in Ohnmacht, weil auch sie geglaubt hatte, er wäre tot. Als er ihr die Schuhe überreicht, meint sie. Die brauche sie nicht mehr. Sie wolle auch ohne solche Schuhe seine Frau werden. Und nun treffen sich alle in der Kirche und feiern die Geburt Jesu Christi am Heiligen Weihnachtsfest.

Als die ersten Fernseher in die Dörfer kamen, war das das Ende des Landfilms. Das Fernsehen verdrängte bald das Kino und wurde zum Kulturträger Nummer 1 auch in Landin.

Nikolai Wassiljewitsch Gogol
(*1809 – †1852)
 

Video

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.12.2020


 

Die Postfrau von Landin

Ursula Schill
23.06.2020

Ursula Erika Helga Schill, geborene Rühle, kam am 10.03.1947 in Landin zur Welt. Sie wohnte mit ihren Eltern neben der kleinen Dorfkirche in der Bergstraße und ging von 1953 - 1957 in Kriele in die erste bis vierte Klasse. Die fünfte bis achte Klasse musste sie in Stechow absolvieren und die letzten zwei Jahre bis zur zehnten Klasse kam sie in die Schule Nennhausen. Nach Abschluss der zehnten Klasse 1963 erlernte sie zwei Jahre lang den Beruf einer Gärtnerin in Albertsheim und arbeitete danach auf der LPG „Freie Scholle Landin“ im Feldbau und in der Pflanzenproduktion. Später wechselte sie zur Tierproduktion und arbeitete in Landin als Melkerin und in der Kälberaufzucht. Am 26.04.1968 heiratete sie den Schlosser Artur Schill in Rathenow.

Ursula und Artur Schill
26.04.1968

Artur Schill wurde am 01.07.1942 in Wilamow, Kreis Turek (heute Polen), geboren, wohin die Nazis seine Eltern umgesiedelt hatten. Eigentlich kamen die Eltern aus Straßburg, Kreis Akkerman, in Bessarabien. Das Ehepaar Ursula und Artur Schill zog drei Söhne auf: Thomas, geb. 04.06.1968, Torsten, geb. 27.09.1969 und Oliver, geb. 19.01.1986. Die Familie Schill wohnte zunächst in einen alten Lehmfachwerkhaus in der Bergstr. 3, das aber wegen Baufälligkeit abgerissen wurde. Sie zog 1972 in eine Wohnung im Gutshaus um und blieb dort bis 1989. Als Bernd Mewes 1989 das Haus seiner Eltern in der Steinstr. 5 verkaufte, bezogen sie dieses Haus und wohnen nun mit zwei Söhnen Thomas und Oliver in dem alten Bauernhaus. Ursula Schill übernahm von 1990 – 2003 die Post in Landin. Die Poststelle war in der Steinstr. 11.

Ehemalige Poststelle, Steinstr. 11
 

Poststelle in der alten Schule von Landin

Zuerst hatte Betty Ast die Poststelle inne, ihr folgten Elli Müller und Sonja Gnad. Als Ursula Schill die Post übernahm, hatte sie nur Landin zu versorgen und fuhr die Briefe, Zeitungen und Pakete mit dem Fahrrad aus. Sie wickelte auch die Bankgeschäfte der Landiner in der Post ab. Die Poststelle war Montag bis Freitag von 8:00 - 9:00 Uhr in Landin geöffnet und für die Lottospieler einmal in der Woche von 17:00 - 18:00 Uhr. Nach der Einheit Deutschlands änderte sich das Arbeitsprofil. Die Poststelle zog in die Alte Schule um.

Sie brauchte auch die Zeitungen nicht mehr auszutragen, und sie bekam ein Auto und musste Kriele, Kotzen, Rhinsmühlen und später Damme, Liepe, Nennhausen und Neufriedrichsdorf übernehmen. Die Arbeit als Postfrau war nicht ganz ungefährlich. Dreimal wurde sie von einem Hund gebissen und einmal stürzte sie bei Glatteis so heftig, dass sie fast nicht mehr laufen konnte.
Aber im Rückblick auf ihr Arbeitsleben, war es eine sehr interessante Aufgabe und am besten hat ihr der Kontakt zu den Menschen gefallen. Sie lernte durch ihre Arbeit fast alle Bewohner in ihrem Bereich kennen und das war schön. Auch erinnert sie sich gern an die Vorweihnachtszeit, wo Jahr für Jahr eine große Arbeitsbelastung auf sie zukam, aber die Menschen schenkten ihr auch mal eine Tafel Schokolade oder andere Süßigkeiten als kleines „Dankeschön“.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.11.2020


 

Die Hochzeit der Alice von Bredow

Alice von Bredow 1915

Dr. jur. Wichard von Bredow aus Landin kam durch den Ersten Weltkrieg (1914-1918) nach Kurland, wo er die Baronesse Alice von Grotthuss kennenlernte und sich in sie verliebte. Am 29.07.1916 kam er das erste Mal mit einem Freund zur Jagd nach Spahren (heute Lettland). Als sie erhitzt vom langen Ritt in den Salon eintraten, stellte Alice gerade Blumen auf den Esstisch und überreichte dem Wichard ein Glas mit eiskaltem Wasser und sagte: „Zur Abkühlung Herr von Bredow.“ Wichard hatte sich sofort in Alice verliebt und kam nun so oft es ging nach Spahren. Bei einer Jagd im August 1916 schrieb Wichard in das Gästebuch: „Einen starken Elchschaufler gesehen.“ Am 10.08.2016 schrieb er: “17 Pfund schweren Hecht gefangen.“

Am 13.08.1916 war der Leutnant der Reserve Dr. Wichard von Bredow mit seinem Freund Hans Heinrich von Bockelberg erneut in Spahren zu Gast. Am 23.08.1916 schreibt Dr. Wichard von Bredow in das Gästebuch:

In Spahren war ich manchen Tag
ob Sonnenschein, ob Hagelschlag,
es waren schöne Tage,
den Bock gelockt, den Hecht gefischt,
da wurd´ man wieder aufgefrischt
von seines Schreibtischs Plage.
Der Hausherr lockt mit Meisterschaft
die roten Böcke dem Gast zum Schuss;
selbst junge Damen können hier,
des Waldes Wild betören.
Man kann sie oft an Gulbes Rand,
die Enten locken sehen.
Kehrt man des Abends spät zurück,
mit schlechtestem Gewissen,
so ist die Hausfrau gar nicht bös
und reicht uns gute Bissen.

Bald sind vergessen Sorg und Leid
bei Jagd und Jagdgeschichten,
und übermütig fängt man an,
sogar noch was zu dichten.

Dem Hause Spahren vielen Dank
aus übervollem Herzen.
Misst ich das Haus im kur´schen Land,
es tät mich bitter schmerzen.

Und muss ich in die Wildnis gehen,
dort, wo die Gegend minder schön,
ich denke stets an Spahren,
ob gute oder schlimme Zeit,
stets werde ich in Dankbarkeit
dies Andenken bewahren.

Gutshaus Spahren

Für Wichard und Alice stand es bald fest, sie gehören zueinander und so wurde am 19.10.1916 die Verlobung gefeiert. Wichard hätte seine Braut gern den Eltern in Landin vorgestellt, aber in den Kriegszeiten war eben alles kompliziert. Mit Beziehungen zum Zarenhaus bekam aber die Mutter von Wichard, Jenny von Bredow, geborenen Gräfin von Schwerin aus dem Hause Wildenhoff/Ostpreußen (*1860 - † 1922) mit ihrer Zofe doch einen Reisepass und kam zu Besuch nach Spahren. Sie durfte vom 8.12.-18.12.1916 Zeit mit ihrer zukünftigen Schwiegertochter Alice verbringen und schrieb ins Gästebuch der Grotthussens:

Wohl überall in Deutschland
ist kur´sche Gastfreundschaft bekannt.
So kam ich her, und fand ein Haus,
aus dem ich ungern geh hinaus.
Wo warm die Herzen, grad´ der Sinn,
da zieht es jeden mächtig hin.

Und wenn nun gar, wie´s mir gescheh´n,
der Sohn ein Mädchen sich erseh´n,
das ihn beglückt und mich erfreut,
da sprech ich es aus erneut:
Ich kam hierher und fand ein Haus,
aus dem ich ungern geh hinaus.

Doch sage ich „Auf Wiederseh´n“,
wenn milder einst die Lüfte weh´n.
„Auf Wiedersehen,“ wenn in der Rund`
des Frühlings Zauber sich gibt kund.
„Auf Wiedersehen,“ wenn über Nacht
der Rosenherrschaft ist erwacht.
Und immer ein „Auf Wiederseh´n,“
so oft wir von einander geh´n.

Dr. Wichard von Bredow war Ordonanzoffizier im Stab der 1. Kavalleriedivision (KD) und rückte ab August 1917 in Livland ein und schrieb an die Eltern von Alice aus Wilna einen Brief und bat um die Hand ihrer Tochter. Eigentlich wollten sie erst nach Kriegsende Hochzeit feiern, aber Alice hat Furcht, dass Wichard im Krieg verletzt werden könnte und da sie im Herrschaftsbereich des russischen Zaren wohnte, hätte sie keine Chance, ihn im Lazarett zu besuchen. Wenn sie allerdings Wichards Frau würde, könnte sie als deutsche Staatsbürgerin zu ihm fahren. Wichard hatte seine Vorgesetzten gefragt. Er würde im November 2017 mehrere Wochen Hochzeitsurlaub bekommen und so wurde der Hochzeitstermin auf den 10.11.1917 in Spahren festgesetzt. Im Oktober 1917 fuhr Alice mit ihrer Mutter Jenny nach Mitau zum Chef der Verwaltung, um die erforderlichen Papiere zu besorgen. Sie als russische Staatsbürgerin heiratete einen deutschen Offizier, was zu der Zeit aber nicht ungewöhnlich war. Es sollte kein großes Fest gefeiert werden, aber es kamen doch etliche Verwandte. Nur die Landiner Eltern und Verwandten von Wichard durften nicht kommen. Es gab alles auf Bezugsschein, und nur unter großen Mühen konnte der Stoff für das Brautkleid aus Deutschland besorgt werden sowie weiße Schuhe und weiße Handschuhe. Ab 06. 11.2017 trudelten die Verwandten von Alice aus der Umgebung ein. Am 09.11.1917 kam am Nachmittag auch Wichard mit zwei Offizieren an. Es waren dies Friedel von der Groeben und Wichards Cousin Otto Graf von Schwerin-Wildenhoff/Ostpreußen. Alice freute sich, dass wenigstens zwei Gäste von Wichards Seite dabei sein konnten.

Zum Kaffee waren am Polterabend schon 23 Gäste am Kaffeetisch in T-Form versammelt. Eine Tante von Alice hatte die Tafel mit Tannengrün und kleinen Vasen mit Ebereschen, Pielbeeren, wie man hier sagte, geschmückt. Um 19:00 Uhr war das Souper und nach dem Souper gab es kleine Theaterstücke und Gedichte. Ein Theaterstück hieß „Moderne Dienstboten“ und handelte vom Diener des Herrn von Bredow und seiner Kammerjungfer der Frau von Bredow. Dann bewarb sich eine Köchin um eine Anstellung und brachte zum Beweis ihrer Backkunst zwei prächtige Torten mit. Ein Schusterjunge überreichte dem Bräutigam ein Paar Pantoffeln und eine Verwandte hatte sich als Zigeunerin verkleidet und wahrsagte dem jungen Paar viele lustige Sachen. Ein Gretchen erzählt von ihren Erfahrungen mit Männern und die Köchinanwärterin (Tante Frieda) erschien noch einmal im Gewand eines alten Kriegers und sagte ein langes Gedicht auf, das immer mit dem Refrain endete: “Wie bei Sedan in der Schlacht.“ Das war so typisch für kurische Geselligkeit. Am Hochzeitstag wurde zeitig Kaffee im Saal des Gutshauses getrunken, denn das Esszimmer war schon für das Diner geschmückt. Die Trauung sollte um 12:30 Uhr sein und um 11:00 Uhr kamen zwei Tanten und kleideten Alice an. Um zwölf Uhr fuhren die ersten Wagen zur Kirche und das Brautpaar mit den Brauteltern machten sich als Letzte im Coupé auf den Weg zur Kirche. Es war schönes Wetter. Der Altar der Kirche war mit weißen Chrysanthemen geschmückt und am Eingang und im Inneren der Kirche hingen überall Tannengirlanden mit Strickbeerkraut (Preiselbeeren). Zum Eingang spielte das Harmonium das Niederländische Dankgebet „Wir treten zum Beten vor Gott, den Gerechten“, was Alice sehr liebte und ihr die Tränen in die Augen trieb. Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt, denn es waren alle gekommen, um diesem Fest beizuwohnen. Unten saßen die geladenen Gäste und auf den Emporen die Dorfbewohner. Nachdem der Pastor Johannson sein Werk vollendet hatte, fuhren die Frischvermählten allein zurück ins Gutshaus. Zu Haus erwarteten sie alle Gäste und empfingen die Gratulationen. Alice war etwas irritiert, dass man jetzt „Gnädige Frau“ zu ihr sagte. Sie fühlte sich noch nicht so alt. Es wurde ein Imbiss gereicht, wobei die eingeweckten Krebsschwänze, die Alice selber zubereitet hatte, noch die Pastete übertrafen. Nachdem sich alle etwas gestärkt hatten, ging es ins Esszimmer zum Festessen, wo 32 Personen an einer hufeisenförmig gestellten Tafel Platz nahmen. Die Festtafel war mit einer kleinen Girlande und mit Vasen voller Chrysanthemen geschmückt. Gemalte Tischkarten mit dem Wappen derer von Grotthuss wiesen den Gästen die Plätze zu. Es gab ein kriegsmäßig einfaches Menu. Zuerst kam die Suppe und als zweiten Gang gab es Karpfen. Als Hauptgang wurde Rehrücken serviert und als Nachtisch Reneklodenkompott. Bei Tische wurden viele Reden gehalten. Der Vater von Alice, Otto von Grotthuss, sprach in seinen Worten ganz liebevoll von Landin und von den Landinern, die ja nicht dabei sein konnten.

Der Bruder von Alice Vater, Friedrich von Grotthuss (*1861 - † 1919), wendete sich zum Schluss seiner Rede an Wichard und sagt: „Wenn ich auch weiß, dass Du ebenso wie ich kein Anhänger eines Verzichtsfriedens bist, so muss ich Dir doch sagen, dass in der Ehe doch manchmal ein Verzichtsfrieden am Platze ist.“ Von Wichards Seite hielt sein Cousin Otto Graf von Schwerin-Wildenhoff/Ostpreußen die Tischrede. Um 17:00 Uhr gab es Kaffee und Kuchen und eine kleine musikalische Überraschung, denn drei Gendarmen waren gekommen und spielten auf einer Geige, einer Zither und einer Gitarre mehrere Lieder, einen Marsch und einen Choral. Nach dem Kaffee wurde der Jungfernkranz ausgetanzt und Alice richtete es so ein, dass ihn Baronesse Irene von Hahn (genannt Zibbe) bekam und Wichard drückte ihrem Freund, dem Baron Carol von Fircks, seinen Stahlhelm auf den Kopf. So tanzten die beiden dann einen Walzer zusammen. Es sollte aber eigentlich nicht getanzt werden. Dafür machte man aber recht wilde Spiele. Um 20:00 Uhr war das Abendessen angesagt und danach ging es weiter mit Ratespielen und „Lange Nase.“ Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Das Brautpaar hatte sich schon rechtzeitig zurückgezogen. Um 23:30 Uhr war die Feier beendet und die nicht im Hause Spahren untergekommen waren, fuhren nach Hause.

Hauptetage des Gutshauses Spahren

Es war ein schöner Tag gewesen und ein Lichtblick in diesen Kriegstagen. Natürlich wäre das Fest nicht so prächtig geworden, wenn das Hauspersonal sich nicht so eng mit der Familie von Grotthuss verbunden gefühlt hätte. Es war eine gute Harmonie zwischen den Gutsherren und den vielen Angestellten, die im Haus, Hof und auf den Feldern arbeiteten. Die meisten waren Letten. Man war stolz auf die Familie von Grotthuss und schickte die jungen Mädchen gern ins Schloss, um dort die feine Küche zu erlernen. Manche blieben im Schloss, aber die zurückgingen und eigene Familien gründeten, zehrten von dieser feinen Küche ihr ganzes Leben lang. Sie erfreuten ihre Familien mit außergewöhnlichen Kochkünsten. Sie hatten es ja im Hause Spahren gelernt. Am 11.11.1917 machten sich Dr. Wichard von Bredow und seine Frau Alice von Bredow auf den Weg nach Landin - gewissermaßen als Hochzeitsreise. Aber das ist eine andere Geschichte, die vielleicht einmal später erzählt werden kann.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.10.2020

Ich danke Otto Freiherr von Grotthuss für die Unterstützung und für die leihweise Überlassung des Buches von Max-Wichard von Bredow „Spahren – ein Gut in Kurland“, aus dem das meiste mit kleinen Veränderungen zitiert wurde.


 

Die Landiner Bürgermeisterin Brigitte Nelde
(* 18.03.1936 – † 07.08.1994)

Brigitte Nelde, geborene Müller, wurde am 18.03.1936 in Waldenburg in Schlesien geboren. Ihr Vater war Bergmann und arbeitete im nahen Eulengebirge. Er starb im Zweiten Weltkrieg. Die Mutter floh 1945 mit drei Kindern in den Westen und kam nach Genthin.

Brigitte Nelde

Waldenburg in Niederschlesien (1936)

Brigitte Nelde als Schulkind

Brigitte Nelde wurde in Genthin eingeschult und besuchte später die Heimoberschule in Wendgräben, wo sie 1954 ihr Abitur ablegte. Die Schüler lebten im Schloss Wendgräben in einem Internat.
Nach dem Abitur begann sie in Thale eine Ausbildung zur Krankenschwester. 1956 schloss sie die Ausbildung erfolgreich ab und arbeitet danach im Paracelsus-Krankenhaus in Rathenow, weil ihre Mutter inzwischen nach Landin umgezogen war. Brigitte Nelde nahm aber bald die Ausbildung zur Fürsorgerin auf und arbeitete später in der Geschwulstberatung in den Vereinigten Gesundheitseinrichtungen des Kreises Rathenow.

Am 30.01.1960 heiratete sie Rudolf Ernst Nelde, der zunächst bei der Feuerwehr und später bei der Polizei arbeitete. Die meiste Zeit hatte er den Chef der Polizei in Rathenow, Heinz Rehag, zu chauffieren. Rudolf Nelde war am 04.03.1930 in Bnin, Kreis Schrimm, in Schlesien geboren worden. Betty und Karl Ast aus Landin hatten Rudolf Nelde adoptiert, da sie keine eigenen Kinder hatten. Rudolf Nelde war der Neffe von Karl Ast. Die Schwester von Karl Ast, Anna Nelde, geborene Ast, lebte in Nauen in sehr ärmlichen Verhältnissen und so war die Familie froh, dass ihr Sohn nach Landin kam.

11. Klasse vor dem Schloss Wendgräben
Brigitte Nelde (unterste Reihe 6. v. li.)

Rudolf Nelde

Dem Ehepaar Nelde wurden vier Kinder geschenkt: Petra 26.07.1960, Lutz 23.09.1961, Heidemarie 02.06.1964 und Stefan 04.06.1971. Brigitte und Rudolf Nelde waren beide in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und so kandidierte Brigitte Nelde für das Bürgermeisteramt in Landin. Nach der Kommunalwahl 1963 arbeitete sie als Bürgermeisterin in Landin in der Steinstraße 11. Gerda Hildebrandt, ihre Cousine, war die Sekretärin und so versuchten beide alle Aufgaben der Dorfverwaltung zu bewältigen. Die Bürgermeisterin war auch die Verwalterin aller staatlichen Häuser in Landin. Sie war verantwortlich für Viehzählungen, Hausbücher, den Brandschutz, den Konsum, die Jugendarbeit und hatte Wahlen vorzubereiten und durchzuführen. Daneben hatte sie sich um die Alten und die Feuerwehr sowie die LPG zu kümmern. Als Bürgermeisterin war sie „Mädchen für Alles.“ Das Büro der Bürgermeisterin war ein Treffpunkt für die Menschen im Dorf. Ihre Kinder nahm Brigitte immer mit in das Gemeindebüro und ließ sie im Archiv spielen.

Einmal als ein hektischer Tag zu Ende ging, schloss die Bürgermeisterin das Büro zu und bemerkte erst zu Haus, dass sie ihre Tochter Heidemarie vergessen hatte. Also kehrte sie wieder um und holte ihre Tochter nach Haus, die aber emsig weitergespielt hatte und nichts vom Arbeitsschluss der Mutter bemerkt hatte. Das Ehepaar Nelde wohnte zunächst in einer sehr kleinen Wohnung in Rathenow. Wegen der engen Wohnverhältnisse kauften die Eltern Betty und Karl Ast ihrem Sohn das Herrenkindsche Haus in Landin. Brigitte und Rudolf Nelde verlebten seit 1961 mit ihren Kindern in der Steinstr. 6 sehr schöne Jahre.

Bürgermeisterin Brigitte Nelde

Die Tochter bekam Zöpfe

Das Haus der Familie Nelde

Die Büroräume des Bürgermeisters von Landin wurden vom Eckhaus gegenüber dem Friedhof, Steinstraße 11, in die Steinstraße 12 verlegt.
Einmal, als die Tochter Heidemarie wieder im Büro des Bürgermeisteramtes spielen durfte, bekam sie mit, dass die Gemeindeschwester Martha Fellert zu ihr kommen sollte, um sie zu impfen. Die Gemeindeschwestern hatten die Aufgabe, auch die Kinder vor allen Dingen gegen Kinderlähmung zu impfen, die als Schluckimpfung auf einem Stück Zucker gereicht wurde. Heidemarie hatte solche Panik, dass sie die Bürotür von innen verriegelte und die Gemeindeschwester, die immer mit einem Trabant aus Kriele kam, unverrichteter Dinge wieder abfahren musste. Der Bürgermeisterin war das sehr unangenehm.

Brigitte Nelde war eine kontaktfreudige, fröhliche Frau, die belesen war und immer versuchte, gerecht zu sein. Viele Menschen kamen auch zu ihr, wenn es Streitereien gab. Sie hatte als Sozialarbeiterin (Fürsorgerin) gelernt, wie man mit den Sorgen der Menschen umgehen konnte. Dazu hatte sie durch vier Kinder genug Erfahrungen mit den Nöten von Familien. Lutz war mit dem Schlitten in Kriele gegen einen Baum gefahren und hatte sich das linke Bein gebrochen. Ein paar Jahre später fuhr er heimlich mit einem Moped im Wald umher, stürzte und brach sich noch einmal das gleiche Bein. Sie reiste auch gern in den Harz oder an die Ostsee und bestrickte die ganze Familie. Ihre Familie liebte sie sehr, die Ehe mit Rudolf Nelde war glücklich. Als ihr Mann Rudolf am 26.11.1977 in Landin plötzlich starb, nahm sie 1981 das Angebot an, in Ferchesar Bürgermeisterin zu werden, zog nach Ferchesar um und arbeitete bis 1986 dort.

Bürgermeisteramt Landin

Heidemarie und Lutz Nelde im Winter auf der Dorfstraße

Bürgermeisterin von Ferchesar Brigitte Nelde (2.v. links) bei einer Feier zum Frauentag

Nach 1986 arbeitete sie wieder als Krankenschwester in der Augenklinik in Rathenow. 1992 bot sich ihr die Chance, in den Vorruhestand zu gehen und sie war glücklich, dass der Arbeitsdruck aufhörte. Sie hatte inzwischen eine Herzkrankheit bekommen, die es ihr schwer machte, voll leistungsfähig zu sein. Sie saß gern im Sommer vor ihrem Haus und sprach mit den Menschen. Am 07.08.1994 starb sie an einer Lungenembolie.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.09.2020


 

Die Badestelle der Landiner

Wer ein Fahrrad hatte, fuhr im Sommer an den Ferchesarer See zum Baden, wenn es die Eltern erlaubten. In der Dranseschlucht in Ferchesar führte ein Steilufer zum See zu einer vielbesuchten Badestelle. Alle Fremden fanden die Dranseschlucht sehr romantisch. Die Einheimischen nahmen die Schönheit ihrer Heimat gar nicht mehr wahr. Wer in Landin arm war, konnte nur den Großen Havelländischen Hauptkanal nutzen. Vor der Brücke stand am rechten Ufer eine alte Eiche, die auch an heißen Sommertagen Schatten gab. Aber es war nicht ganz ungefährlich für Kinder, die noch nicht schwimmen konnten, dort ohne Aufsicht zu baden. An heißen Sommertagen kamen aber doch Kinder zur Eiche und versuchten im Wasser zu planschen.

Am 02.07.1967 waren drei Kinder an der Badestelle. Die drei hatten ein Fahrrad, durften aber nicht nach Ferchesar fahren. So spielten sie an der alten Eiche. Es waren Werner Gretzinger, Gudrun Bork und Joachim Hildebrandt. Der Große Havelländische Hauptkanal war alt und manchmal ungepflegt und etwas verkrautet. Joachim Hildebrandt konnte schon schwimmen, aber die neunjährige Gudrun Bork und Werner Gretzinger waren noch Nichtschwimmer. So vergnügten sich die drei mit einem Schwimmreifen. Joachim schob den Reifen abwechselnd mal mit Gudrun und mal mit Werner über den Kanal. Das machte Spaß und sie konnte gar nicht genug davon bekommen. Sie juchzten vor Freude und es war ein großer Streit, wer im Schwimmreifen mitfahren durfte, aber Joachim Hildebrandt war für Gerechtigkeit und so ging es abwechselnd hin und her. Dazwischen wurde ein Sonnenbad eingelegt und die Kinder tranken mitgebrachten Saft. Es war herrlich.

Als er gerade mit Gudrun Bork unterwegs war, verfingen sich seine Füße in dem Morast und er ließ vor Schreck den Schwimmring los. Der trieb sofort mit der Strömung auf die Mitte des Havelländischen Hauptkanals und Gudrun Bork bekam so große Angst, dass sie aus dem Schwimmring rutschte und im Kanal ertrank. Joachim konnte sich nicht mit eigener Kraft aus dem Morast helfen und ertrank auch. Ehe Werner Gretzinger jemand zu Hilfe holen konnte, war alles schon zu spät. Die beiden Kinder konnten nur noch tot geborgen werden. Seitdem meiden die Landiner diese wilde Badestelle an der Eiche, nur die Angler stehen nach wie vor neben der Eiche und an der Brücke und versuchen ihr Anglerglück.

Großer Havelländischer Hauptkanal bei Landin mit der alten Eiche

Grabstein für Gudrun Bork auf dem Landiner Friedhof

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.08.2020


 

Die Mewes in Landin

Es gab vier Familien Mewes in Landin, die angeblich nicht miteinander verwandt waren, aber wer weiß das schon so genau?

1.  Mewes in der Steinstraße 15

Seit 200 Jahre haben die Mewes den Bauernhof in der Steinstraße 15 bewirtschaftet. Die Familienchronik geht bis auf das Jahr 1690 zurück. Ferdinand Mewes hat 1879 das Haus neu gebaut. Dabei musste er sich so hoch verschulden. Er glaubte nicht daran, die Summe jemals zurückzahlen zu können und er gab den Hof schon verloren. Aber 1920 waren dann die letzten Schulden getilgt und sein Sohn Ernst Mewes und seine Frau Pauline Mewes, geborene Kolpreck, bewirtschafteten die nicht so ertragreichen Ackerflächen so gut sie konnten. Kurt Mewes und seine Frau Annemarie Mewes, geborene Friedrich (*31.10.1916 - † 05.02.2013) waren die letzten Bauern, die den Hof richtig bewirtschafteten. Ihre beiden Töchter gingen in andere Berufe und in der DDR (Ostdeutschland von 1945 -1990) mussten ja Acker und Vieh sowieso in eine Genossenschaft eingebracht werden.

2.  Mewes in der Steinstr. 16

Anna und Wilhelm Mewes hatten einen reichen Bauernhof mit gutem Acker. Es gab unter den Nachbarn schon immer gegenseitige Hilfe. Als der Backofen bei den Mewes in der Steinstraße 15 kaputt gegangen war, sprangen Anna und Wilhelm sofort ein und erlaubten, dass Annemarie Mewes alle 14 Tage das Brot und manchmal auch ihren Kuchen bei ihr backen konnte. Die Nachbarskinder spielten immer zusammen und waren natürlich überall dabei. Anna Mewes schälte Äpfel für einen Apfelkuchen und die Kinder wollten gern auch einen Apfel aus dem großen Erntekorb essen, aber Anna gab nichts her. Sie saß auf ihren Äpfeln und prahlte auch gern mit ihrem Reichtum. Ihr Mann Wilhelm starb 1943 an Magenkrebs und nun hatte Anna ihre drei Töchter Maria, Hilde und Lucie allein zu erziehen. Lucie Mewes heiratete Bernhard Siegmund und als ihre Tochter Irmgard am 19.12.1946 geboren wurde, erzählten die Nachbarn ihren Kindern, dass Tante Lucie vom Storch ins Bein gebissen wurde und ein Kind bekommen hätte. Lucie Siegmund bekam nach der Entbindung hohes Fieber und ihr Mann Bernhard trug sie im Dezember zur Abkühlung immer im Garten herum. Das hat wohl geholfen, denn sie überlebte diese schwere Erkrankung. Als Bernhard Siegmund in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) eintrat, endete die Geschichte des Bauernhofs.

3.  Mewes Steinstr. 5

Reinhold Mewes und seine Frau Luise Mewes, geborene Bollmann, lebten auf dem Bauernhof in Landin Steinstr. 5. Seine Frau hatte er in Gülpe kennengelernt. Reinhold Mewes hatte von der Familie Trägenapp ertragreiches Ackerland und Wald und Wiesen gekauft und kam gut zurecht. Seine Tochter Ilse Mewes heiratete Otto Burandt. Aus dieser Ehe ging der Sohn Bernd Burandt hervor, der ein Liebling der ganzen Familie und der Nachbarn wurde. Als Otto Burandt im Krieg 1939 -1945 in Russland ums Leben kam und nicht zurückkehrte, heiratete Ilse Burandt Willi Burow und bewirtschaftet den Hof mit ihm. Dem Ehepaar Burow wurden drei Töchter geschenkt, Irmtraud, Sigrid und Margrit. Ihr Lieblingssohn und Erstgeborener Bernd sollte einmal die Bauernwirtschaft übernehmen und deshalb benannte sie ihn in Bernd Mewes um. Als Ilse Burow 1961 an Magenkrebs starb, heiratete Willi Burow Gerda Schulze aus Wusterhausen. Sie war eine begnadete Dichterin und verschönte jede Familienfeier mit einem Gedicht oder ein Lied. Sie fuhr auch öfter nach Bad Neuenahr-Ahrweiler, wo sie Verwandte besuchte und dichtete: “Wer an der Ahr war und weiß, dass er da war, der war nicht an der Ahr. Wer aber an der Ahr war und nicht weiß, dass er da war, der war an der Ahr.“ Bad Neuenahr-Ahrweiler ist eine kleine Stadt in einer romantischen Landschaft in Rheinland-Pfalz mit vielen Weinbergen. Der Wein fließt natürlich in allen Restaurants und Hotels in Strömen. Bernd Mewes wollte dann den Hof doch nicht übernehmen und wurde Lehrer in Grevesmühlen und seine Schwestern gingen auch in andere Berufe, sodass Willi Burow der letzte Bauer der Wirtschaft war. Bernd Mewes verkaufte das Haus an Ursula und Artur Schill. Artur Schill arbeitete als Schlosser auf der LPG und Ursula Schill war Melkerin in der LPG und ab 1990 Postbotin.

4.  Mewes Steinstraße 18

Arnold und Hedwig Mewes, geborene Bauer, kamen aus Kriele und hatten drei Kinder: Erna, Heinz und Erika. Die Familie lebte sehr bescheiden, weil sie den Kaufpreis für das Haus sich praktisch vom Mund absparen mussten. Erna Mewes war etwas körperbehindert und wurde von den Nazis umgebracht. Heinz hätte gern den elterlichen Bauernhof übernommen, aber als die LPG kam, wurde alles anders. Heinz Mewes lebte mit seiner Frau Charlotte bis zu seinem Tode in diesem Haus. Sie starben kinderlos. Die Verwandten erbten das Haus und verkauften es weiter.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.07.2020


 

Pastor Karl Domsch (* 05.01.1911 - † 10.01.1992)

Pastor Karl Domsch war am 05.01.1911 in Tauer, Kreis Cottbus geboren. Sein Vater Friedrich Domsch lebte mit seiner Frau Anna Domsch, geborenen Paul, in einem kleinen Haus und bewirtschaftete als Bauer 50 Morgen Acker. Man nannte diese kleinen Bauern Büdner. Ein Morgen entsprach ¼ Hektar. Seine Eltern wohnten im Spreewald und sprachen Wendisch (Sorbisch). Erst als er eingeschult wurde, musste er Deutsch lernen. Karl Domsch wurde am 05.02.1911 in der Dorfkirche in Tauer getauft. Er besuchte die Dorfschule bis zur 8. Klasse und arbeitete dann zwei Jahre in der kleinen Landwirtschaft seines Vaters. Von 1927 – 1930 erlernte er bei der Firma Julius Erling das Maurerhandwerk und arbeitete von 1930 - 1934 als Maurer. Von 1934 an war er Soldat und musste nach Russland in den Krieg, wo er 1945 in russische Kriegsgefangenschaft geriet, aus der er erst 1949 entlassen wurde. Er hatte am 03.12.1939 Martha Bechtholdt geheiratet. Dem Ehepaar wurden vier Kinder geschenkt. Am 07.09.1940 Siegfried, am 24,12,1941 Christa, am 06.08.1944 Eva und am 18.01.1952 Karl-Heinz. Karl Domsch arbeitete nach der Entlassung aus der russischen Kriegsgefangenschaft als Katechet (Religionslehrer) in Tauer im Kirchenkreis Cottbus und später in Liepe im Kirchenkreis Rathenow. Da er diese Aufgabe über alles liebte, weigerte er sich 1953 den väterlichen Hof zu übernehmen. Der Vater war darüber so erbost, dass er seinen Sohn enterbte. 1956 schreibt er in seiner Biografie: Gottes Heiliger Geist führte mich durch sein Wort zum Sündenbekenntnis und zur Heilsgewissheit und beruft sich dabei auf das Kapitel 53 im Alten Testament bei Jesaja.

In der DDR (kommunistische Osthälfte von Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg) hatten die Kommunisten den Atheismus zur Staatsdoktrin erklärt und die Regierung versuchte, die Menschen von jeglichem christlichen Glauben abzubringen, denn Karl Marx hatte gesagt. „Religion ist Opium für das Volk.“ Die Kommunisten wussten natürlich, dass auch engagierte Christen bei den Nazis mit ihnen in den Konzentrationslagern gesessen hatten und wie Dietrich Bonhoeffer und viele andere ermordet wurden. Und so traute man sich nicht, das Christentum in Gänze zu verbieten, aber bei Lehrern und Staatsdienern wurde schon Wert auf eine atheistische Gesinnung gelegt. Die Kirchen hatte es schwer, Menschen für den Beruf des Pfarrers oder Priesters zu gewinnen und so war man auf die Idee gekommen, eine eigene christliche Hochschule ins Leben zu rufen, wo praktische jeder die Ausbildung zum Theologen durchlaufen konnte. An den staatlichen Universitäten gab es natürlich auch theologische Fakultäten. Die führten aber oft dazu, dass die Studenten doch vom Glauben abgebracht wurden, denn sie mussten wie alle Studenten im Nebenfach Marxismus-Leninismus studieren. In Berlin gab es von 1946 -1999 das „Paulinum“, wo über den Zweiten Bildungsweg Pfarrer und Prediger ausgebildet wurden. Zunächst waren drei Jahre und später vier Jahre für die Ausbildung vorgesehen. Man brauchte dazu kein Abitur, sondern nur eine abgeschlossene Berufsausbildung. Zunächst war die Ausbildung für Kriegsrückkehrer gedacht. Sie entwickelte sich aber immer mehr zu einer Möglichkeit der Kirche, ihre Mitarbeiter im Osten Deutschlands selbst auszubilden. Bis auf die alten Sprachen Griechisch, Hebräisch und Latein wurde die Ausbildung nach und nach an die theologische Hochschulausbildung angepasst.

Pfarrhaus in Stechow
 
 

Dorfkirche Stechow

Karl Domsch war ein leidenschaftlicher evangelischer Christ. Es brauchte nicht viel Überredung, um ihn dazu zu bewegen, am „Paulinum“ vom 01.10.1956 -31.03.1960 eine Ausbildung als Pfarrer aufzunehmen und erfolgreich abzuschließen. Der Generalsuperintendent der Kurmark in Potsdam, Walter Braun, hat in einem Brief vom 02.11.1956 nach einer Generalkirchenvisitation im Kirchenkreis Rathenow die Befürchtung geäußert, dass Karl Domsch die Prüfung zum Prediger am Paulinum nicht bestehen würde, während der Superintendent des Kirchenkreises Johannes Reichmuth da kein Zweifel hatte. Karl Domsch bestand die 1. Predigerprüfung am 14.03.1959 und auch die 2. Predigerprüfung am 13.03.1960. Auch den Probedienst absolvierte er von 01.04.1960 - 31.05.1961 erfolgreich. Die Beurteilung des Predigerseminars meinte aber einschränkend: „In der Arbeit ist er willig und beständig, aber mehr fleißig als begabt; in der Beherrschung der deutschen Sprache zeigen sich mitunter bei ihm Mängel, die damit zusammenhängen, dass er im sorbischen Sprachgebiet aufgewachsen ist.“ Der Gemeindekirchenrat von Stechow hatte am 19.10.1960 einstimmig und der Gemeindekirchenrat von Ferchesar am 21.10.1960 dafür votiert, Pfarrer Karl Domsch als Pastor anzustellen, denn sie hatten gerade eine freie Stelle.
Und so kam er denn mit seiner Familie nach Stechow und wohnte im Pfarrhaus mit dem großen Garten gegenüber der Dorfkirche von Stechow. Zu seiner Gemeinde gehörten Stechow, Ferchesar, und zeitweilig auch Semlin, Kriele und Landin.

Er war etwas verwachsen und seine Zähne waren so schrecklich schief gewesen, dass der Zahnarzt große Mühe hatte, ihm ein einigermaßen vernünftiges und ansehnliches Gebiss zu bauen. Er konnte auch nicht singen und begleitete die Gemeinde bei den Kirchenliedern im Gottesdienst mangels eines Organisten auf der Flöte. Der Evangelische Kirchenkreis Rathenow hatte immer Mangel an Theologen und war froh, als Karl Domsch sich um eine Stelle bewarb. Er bekam die Pfarrstelle in Stechow mit allen umliegenden Dörfern, wozu auch Landin gehörte. Als Wilhelm und Marie Brunow am 20.05.1970 ihre Goldene Hochzeit in Stechow feierten, segnete er sie noch einmal in der Stechower Dorfkirche und sprach ihnen ihren Trauspruch zu: “Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal; haltet an am Gebet!“ (Brief des Paulus an die Römer 12,12).

Goldene Hochzeit von Erika und Willi Brunow 20.05.1970
Pastor Karl Domsch mit dem Goldenen Paar vor der Stechower Kirche
 
 

Urkunde zur Goldenen Hochzeit - Stechow, den 20.05.1970

Für die Goldene Hochzeitstrauung wurde eine Urkunde ausgestellt, wie das in Preußen so üblich ist. Dem Ehepaar Brunow wurde in herzlichem Gedenken diese prachtvolle Urkunde überreicht und mit dem Siegel der Kirche zu Stechow versehen.

Aber er war wohl ein besserer Maurer als ein Theologe. Es gab an den Dorfkirchen immer viel zu reparieren und ehe er sich auf lange Verhandlungen mit den volkseignen Bauunternehmen einließ, griff er schnell selbst zur Kelle und mauerte was das Zeug hielt. Dafür bewunderten ihn auch die Menschen in den Gemeinden. Er predigte zu den Gottesdiensten, Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen und sprach den Menschen Mut zu. Er versuchte immer auf die Menschen einzugehen und sich ihrer Probleme anzunehmen. Hertha Brunow aus Landin war sowohl Kirchenälteste in Landin als auch Mitglied in der Kreissynode des Kirchenkreises Rathenow und stellte in den Wintermonaten ihren Gastraum der „Gaststätte Muchow“ für die Gottesdienste in Landin zur Verfügung. Pfarrer Karl Domsch kam gern nach Landin, denn er wusste, Elfriede Müller aus Kriele fehlte nie in den Gottesdiensten und begleitete die Gemeinde beim Gesang auf dem Klavier. Hertha Brunow ließ an den Pfarrern kein gutes Haar. Es gab immer etwas zu kritisieren. Mal war die Auslegung der Bibeltexte nicht nach ihrem Eindruck gelungen, mal war die Predigt zu lang und manchmal warf sie den Pfarrern vor, völlig falsche Predigten besonders bei den Beerdigungen gehalten zu haben. Nur bei Pfarrer Karl Domsch machte sie eine Ausnahme, denn Pfarrer Karl Domsch schmeichelte ihr bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. „Ach Fräulein Brunow, das haben Sie aber wieder schön gemacht. Vielen Dank, Fräulein Brunow, dass Sie alle eingeladen haben. Ich unterstütze ihren Antrag auf der Kreissynode und so weiter.“ Man war sich einig gegen die atheistische Regierung und auch einig bei der Kritik an der Leitung des Kirchenkreises Rathenow.

Zwischen Karl Domsch und dem Pfarrer Hartmut Grünbaum, als Chef des Kirchenkreises Rathenow, gab es heftige briefliche Auseinandersetzung. Die Landeskirche Berlin-Brandenburg gab ja eine Ordnung für die evangelischen Kirchengemeinden heraus und forderte natürlich, dass man sich daranhielt. Pastor Karl Domsch hielt die Ordnung der Landeskirche auch für wichtig, nahm es aber nicht so genau damit, sodass Pfarrer Hartmut Grünbaum ihn schriftlich aufforderte, das Wort Gottes zu verkünden und nicht den ganzen Tag zu mauern. Er schrieb an den Pfarrer Grünbaum:“ Es steht geschrieben im Brief des Paulus an die Thessalonicher (1,4) : „Arbeitet mit euren eigenen Händen, wie wir euch geboten haben.“ Dann schrieb der Pfarrer Grünbaum zurück, ja, aber es steht auch in der Offenbarung des Johannes (2,2): “Ich weiß deine Arbeit.“ Und dann schrieb der Pfarrer Karl Domsch wieder mit einem Bibelwort zurück. Es war eine endlose Geschichte. Wie damals Martin Luther vor dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, wollte Pfarrer Karl Domsch nichts anerkennen, was nicht durch die Worte der Bibel gedeckt war. Und so gab die Kirchenleitung schließlich entnervt auf und ließ ihn mauern.

Als er das Rentenalter erreicht hatte, zog er mit seiner Frau 1976 nach Gelsenkirchen-Buer und genoss den Wohlstand des Westens. Er war wohl sieben Mal in Israel und kehrte immer wieder mit neuen Glaubenseindrücken aus dem Heiligen Land zurück. Er lud auch Hertha Brunow aus Landin mehrmals ein, ihn in Gelsenkichen-Buer zu besuchen und verwöhnte sie bei ihrem Kommen mit ausgesuchter Gastfreundschaft. Er blieb seinen alten Gemeinden herzlich verbunden, auch wenn er nie mehr wirklich in die DDR zurückwollte. Pfarrer Karl Domsch hielt auch so Kontakt mit seiner Gemeinde uns schickte regelmäßig Urlaubskarten an seine Schäfchen.

 

Pfarrer Karl Domsch fühlte sich in Gelsenkirchen-Buer wohl und lebte mit seiner Frau Martha in enger Verbundenheit mit seinen alten Gemeinden, aber er nutzte auch den Wohlstand und die Freiheit im reichen westlichen Teil Deutschlands, um viel zu reisen und die Welt anzuschauen, die ihm in der DDR verschlossen war. Getreu dem alten Volkslied „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“ , besuchte er nun die Stätten seiner Sehnsucht und immer wieder flog er nach Israel, wo er sich Gott ganz nahe fühlte. Am 10.01.1992 starb er in Gelsenkirchen-Buer, beweint und betrauert von seiner Frau, den Kindern und vielen Menschen in Ost und West.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.06.2020


 

Zwei Simson-Mopeds aus Landin erobern die Welt

Alte Brücke in Mostar (Bosnien und Herzegowina)
 
 

Thomas Müller fährt ein BMW-Motorrad und hat mit seiner Frau schon viele lange Motorradtouren unternommen. Als er nach Landin kam, lernte er Guido Gregor kennen, der immer so von seinem Simson-Moped schwärmte. Devin Müller, der Sohn von Thomas Müller, ist technisch begabt und wollte unbedingt alles über Motoren lernen. Da sagte Guido Gregor: „Na der kann doch mal mein altes Simson-Moped auseinanderbauen. Ich muss das sowieso mal durchkucken und da kann er gleich was lernen.“ Devin Müller ist Maschinenbauingenieur und sagte zu seinem Vater: „Ich muss mal was Praktisches machen.“ Der Motor der alten Sim war kaputt und so schraubte Devin Müller am Heiligen Osterfest 2019 alles auseinander. Der Vater und Guido Gregor halfen etwas mit. Und so wurde jedes Teil gesäubert und Devin Müller setzte alles wieder ordentlich zusammen. Und siehe da, welch Wunder. Die alte „Sim“ schnurrte wieder wie ein Bienchen.

Thomas Müller war von diesem Moped begeistert. Diese Einfachheit der Konstruktion, und es fuhr trotzdem. Und man kann alles selbst reparieren. Nun fragten die drei im Dorf herum: “Hat nicht jemand noch Ersatzteile von einem alten Simson-Moped?“ In der DDR mit ihrer Mangelwirtschaft war derjenige König, der immer Ersatzteile auf Lager hatte, weil die auch als Mangelware galten und nicht immer zur Hand waren, wenn man sie brauchte. Michael Gnad sagte, ich habe oben in der Scheune noch Teile liegen. Da könnt ihr mal nachkucken. Guido Gregor und Thomas Müller bauten aus den Ersatzteilen ein neues Simson-Moped zusammen. Alle Teile wurden sandgestrahlt und grün lackiert und so hatten sie im Juli 2019 zwei Simson-Mopeds zur Verfügung.

Thomas Müller hatte mit seiner Frau schon weite Reisen mit seinem BMW-Motorrad gemacht und da kam ihm die Idee, man könnte doch mit den Simson-Mopeds auch mal eine weitere Tour machen. Guido Gregor war einverstanden und so machten sich die beiden Männer mit ihren Simson-Mopeds aus Landin am 10.09.2019 auf den Weg nach Berlin, wo sie den Autozug bestiegen und die ganze Nacht bis nach Wien durchfuhren. Von Wien ging es über Slowenien an die kroatische Küste. Sie fuhren die Küste entlang bis nach Split. Dann fuhren sie weiter durch Bosnien Herzegowina nach Mostar. Die Folgen des Krieges sind immer noch zu sehen. Es hat im letzten Krieg jeder jeden umgebracht. Nach diesem Leid wollten alle nur Frieden. In Mostar kann man sehen wie die russisch-orthodoxen Christen, die Katholiken, die Mohammedaner und die Juden friedlich zusammenleben. Sie besuchten auch ein Euthanasiemuseum. Dann fuhren die beiden durch Bosnien nach Banja Luka. Und dann ging es schon wieder zurück nach Landin.
Im Durchschnitt fuhren sie 35 km pro Stunde und es war herrlich die Landschaft zu genießen, denn bei dieser Geschwindigkeit hat man auch Zeit nach rechts und links zu schauen. Die Rücktour ging wieder über Wien, dann aber nach Prag und von dort zurück nach Deutschland. Thomas Müller und Guido Gregor benutzen auf der Rückfahrt keinen Reisezug. Sie fuhren die ganze Strecke mit ihren Simson-Mopeds. Es war grandios. Durch Whats-Apps und kleine Filmepisoden waren viele Bewohner von Landin immer informiert und so etwas schmiedet ein Dorf auch zusammen.

Am 21.09.2019 kamen die beiden Simson-Weltenbummler wieder glücklich in Landin an. In den 11 Tagen hatten sie mit ihren Simson-Mopeds 2300 km zurückgelegt. Das war schon eine Leistung.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.05.2020


 

Die Dorfschule von Landin

Schüler der Dorfschule Landin 1952
1. Reihe unten von links nach rechts: Erna Reiske, Edeltraud Wegner, Erika Haake,?, Erika Raab, Brigitte Mewes, Uwe Welak, Otto Bauer, Bernd Mewes, Arthur Nickel, Benno Ossenbühl, Helmut Fox, ?, Arthur Hammel
2. Reihe Mitte von links nach rechts: Else Gutknecht, Erika Brodehl, Elfriede Haake, Ingrid Mewes, Doris Lamprecht, Erika Hammel, Emmi Wenger, ?, Richard Kunze, Arthur Schill, Karl-Heinz Lüpke,?
3. Reihe oben von links nach rechts: Helga Nelde, Inge ?, ? ?, Hannelore Henke,, Irmgard Ossenbühl,?, Manfrd Rühle,?, Büttner,?
 
 

Das Liederbuch von 1906

Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) waren die Städte und Dörfer im Land Brandenburg überfüllt von Flüchtlingen aus dem Osten. Aus Ostpreußen, aus Westpreußen, aus Schlesien und aus dem Sudetenland kamen die Menschen mit ihren Kindern auch nach Landin und viele Menschen hatten schon eine Odyssee hinter sich, denn sie waren erst aus Rumänien nach Polen umgesiedelt worden und mussten dann nach dem Krieg noch einmal in den Westen fliehen. Auch in Landin gab es viele Familien, die hier endlich einen Neuanfang im Frieden versuchen wollten. Und es gab Armut, Hunger und Not unter den neu angekommenen Menschen und sie wurden auch etwas geringgeschätzt, denn oft hatten sie eine Sprache aus ihrer alten Heimat mitgebracht, die den Brandenburgern fremd war. Sie rollten das R oder waren noch dem Schwäbisch ihrer Vorfahren verhaftet, die vor ein paar Hundert Jahren nach Siebenbürgen oder nach Russland ausgewandert waren.
Aber alle Kinder mussten natürlich in die Schule. Da half nichts. Die Kinder aus Landin mussten zur Einschulung nach Kriele und wurden dort mit den Krieler Kindern in der ersten und zweiten Klasse gemeinsam unterrichtet. Die Landiner Dorfschule hatte einen Klassenraum, in dem die Kinder der Klassen 3 - 4 aus Kriele und Landin gemeinsam unterrichtet wurden. Es waren immer 20 - 30 Kinder, die in Landin zur Schule gingen. Das war für die Lehrerin Erika Brodehl schon eine große Kunst, denn sie musste Lesen, Schreiben und Rechnen üben, und so war jede Unterrichtsstunde in verschiedene Teilabschnitte untergliedert, wo die einzelnen Klassen mit Stillarbeit beschäftigt wurden und die andere Klasse aktiv unterrichtet wurde. Zum Beispiel musste die dritte Klasse still eine Geschichte aus dem Lesebuch lesen und sie dann aufschreiben oder abschreiben, während sie mit der vierten Klasse das Einmaleins von der Sieben übte. Es wurde auch noch Schönschrift unterrichtet und geübt und auch zensiert. Die erste Klasse in Kriele schrieb noch alles mit dem Griffel auf eine Schiefertafel. Auch Diktate wurden auf der Schiefertafel geschrieben und der Lehrer ging nach dem Diktat von Schüler zu Schüler und strich Fehler an und gab eine Zensur. Erst ab der zweiten Klasse gab es Schreibhefte und Bleistifte.
Sport und Singen konnte dann in beiden Klassen gemeinsam absolviert werden. Das ging gut. Zuerst waren auch keine Schulbücher vorhanden und so musste man auf alte Bücher zurückgreifen. Erika Brodehl hatte in ihrer Bibliothek noch ein altes Liederbuch für höhere Schulen von 1906 entdeckt und da wurden dann alle Lieder gesungen, die dort drinstanden.

„Das Wandern ist des Müllers Lust“, „Sah ein Knab‘ ein Röslein steh‘n“, “Der Mond ist aufgegangen“ und viele mehr, die die Kinder auswendig lernen mussten. Im Anhang des Buches fanden sich auch französische und englische Lieder wie „Le petit Pierre“ und „Jingle Bells.“ Es war ein munteres Völkchen, was sich jeden Vormittag in der Dorfschule einfand, aber es wurde auch viel gelacht.
Am ersten April versuchte man die Lehrerin in den April zu schicken und Sebastian Kowalke aus der dritten Klasse sagte zu ihr: „Der Bürgermeister bittet Sie sofort zu ihm zu kommen.“ Erika Brodehl roch natürlich den Braten und meinte: „Ich werde ihn nach dem Unterricht aufsuchen. So viel Zeit muss sein.“ Sie beauftragte aber Sebastian Kowalke zu Ingelore Babucke in den Konsum zu gehen und zu fragen, ob sie „Haumieblau“ hätte. Sebastian machte sich pflichteifrig auf den Weg in den Dorfkonsum. Unterwegs sagte er sich immerzu den Namen „Haumieblau“ auf, denn er wollte das seltsame Wort nicht vergessen. Er drängelte sich im Konsum vor und sagte nicht ohne Wichtigkeit zu Ingelore Babucke: „Die Lehrerin schickt mich, ich soll fragen, ob Sie „Haumieblau“ haben?“ Es gab ein großes Gelächter bei den Kunden und bei Frau Babucke. Sie sagte zu dem Sebastian: „Na komm mal her.“ Dann gab sie ihm einen Klapps auf den Hintern und schickte ihn wieder zurück in die Schule, wo ihn erneut eine lachende Kinderschar empfing, denn Erika Brodehl hatte alle Kinder inzwischen über den Aprilscherz aufgeklärt.

Alte Landiner Schule 2020

Ehemalige Schule 2020

Am letzten Schultag vor den Sommerferien wurden die Zeugnisse ausgegeben und eine Geschichte oder ein Märchen vorgelesen. Erika Brodehl hatte sich aber erkältet und war krank. So kam eine Ersatzlehrerin aus Rathenow und las in reinstem Sächsisch den Kindern „Das Märchen von der Plauen Plume“ vor. Ab 1950 war dann Emmi Schnelle für die Landiner Schule zuständig. Sie heiratete Heinz Wenger und nahm auch seinen Namen an. Emmi Wenger unterrichtete die Kinder aus Landin und Kriele bis 1954. Dann wurde die Schule in Landin geschlossen und alle Kinder mussten nach Kriele zur Schule gehen. Heute ist die Schule ein Wohnhaus.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.04.2020


 

Der Keiler von Landin

Wildschweine
Gemälde von Rudolf Herrenkind

1950 kam Rudolf Johannes Alexander Herrenkind mit russischen Offizieren aus Rathenow nach Landin. Sie wollten mit ihm Wildschweine jagen. Rudolf Herrenkind war ein Jäger aus Leidenschaft. Das hatte auch die Russen gehört und wollten mit diesem erfahrenen Jäger mal auf die Pirsch gehen. Die russischen Offiziere schenkten den zwei Mädchen der Herrenkinds Weißbrotstullen dick mit Butter beschmiert und jede Menge Würfelzucker. Das war für die Kinder ein unvergessliches Geschenk. Butter und Zucker waren nach dem Krieg Mangelware. Dann ging es mit Rudolf Herrenkind in den Wald.
Der erfahrene Jäger wusste natürlich, wo sich die Wildschweinrotte bei Tag versteckt hielt. Er fuhr mit den Russen in Richtung Friesack bis zu einem Tannendickicht, das in ein Sumpfgebiet führte, wo sich die Wildschweine gern in einer Suhle lagerten. Rudolf Herrenkind bemerkte einen Keiler in den Tannen und schoss. Zu den Russen sagte er, dass er nicht getroffen hätte. Die Russen schossen dann noch ein anderes Wildschwein und nahmen es mit. Bei den Herrenkinds wurde der Jagderfolg mit Wodka begossen. Die Russen waren glücklich.
Als sie spät nach Mitternacht wieder nach Rathenow zurückgefahren waren, weckte Rudolf Herrenkind seine Tochter Lilo, gab ihr einen Rucksack auf den Rücken und dann marschierten beide in den Wald. Rudolf Herrenkind hatte den Keiler sehr wohl getroffen und wusste auch genau die Stelle, wo er zu finden war. Er brach ihn auf und verbuddelte das Gekröse und die Schwarte im Wald. Die Fleischteile wurden in die zwei mitgebrachten Rucksäcke verpackt und für die Familie gab es danach tagelang ein richtiges Festessen, denn Charlotte Herrenkind war eine ausgezeichnete Köchin. Es gab Wildschweingulasch, Wildschweinbraten und Königsberger Klops aus Wildschweinfleisch. Sie würzte das Fleisch mit Salz und mit Kräutern aus ihrem großen Garten. Aber am meisten benutzte sie Lorbeerblätter. Fast alle Speisen bereitete sie mit Lorbeerblättern zu. Den Rest des Fleisches gab sie mit viel Salz in einen großen Steintopf. So hatten sie das ganze Jahr über Fleisch zu essen. Die Familie war stolz auf den Vater und Jäger. Das Wildern war ja verboten, und es drohten empfindliche Strafen für überführte Wilddiebe. Aber mit den Russen war das schon eine andere Sache und Rudolf Herrenkind hatte die Gelegenheit genutzt.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.03.2020
Nach Angaben von Lilo Wortha, geborene Herrenkind


 

Ankunft im Paradies

Thomas Müller und seine Frau in Landin

Als Thomas Müller mit seiner Frau dem geschäftigen Berlin entfliehen wollten, kamen sie am 09.03.2009 mit dem Auto die Bundesstraße Nr. 5 entlang und bogen vor Friesack nach Rathenow ab.
Dichte Wälder säumen die Straße rechts und links und manchmal fuhren sie wie durch einen dunklen Baumtunnel. Auch bei der Abfahrt nach Landin kamen sie noch durch eine kleine Allee, aber plötzlich öffnete sich die Welt. Es wurden Felder, Wiesen und Häuser sichtbar und ein erster Mensch winke ihnen freundlich zu. Er hatte eine Rastafarimütze auf und stand wohl für die Weltoffenheit dieses kleinen Dorfes.

Rastafarimütze mit den Farben von Jamaika

Mit diesem Landiner öffnete sich auch das Dorf für sie. Landin ist anders als viele Dörfer in Brandenburg. Die Häuser stehen nicht dicht an dicht. Es gibt ein lockeres Gebilde von einzelnen Häusern und dann kommt die Kurve und man sieht schon hinten auf dem Berg die Landiner Dorfkirche. Die Kirche steht, was in Brandenburg selten ist, auf einer Anhöhe.
Es war für beide Berliner ein sehr freundlicher Anblick. Und dieser Eindruck hat nicht getrogen. Auch bei den späteren Kontakten zu den Menschen in Landin fanden beide ein freundliches weltoffenes Klima vor. Sie besichtigten dann das kleine Hexenhäuschen neben dem Buchtgraben mit weitem Blick über Wiesen und Felder zu dem in der Ferne sichtbaren Wald.

Das Hexenhäuschen am Buchtgraben

Blick ins Land

Die Kraniche waren da und überall Natur pur. Das war Liebe auf den ersten Blick. Und wenn man hinter das Haus trat, empfanden man die Ruhe und den Frieden. Das hatten sie gesucht. Das Haus musste von Grund auf saniert werden, das stellte sich bald heraus, aber sie hatten einen Ort gefunden, wo sie die Seele baumeln lassen konnten.
Wenn sie im ersten Stock durch die riesigen Glasfenster auf die Felder, Wiesen und Wälder blickten, waren sie glücklich. War das das Paradies?

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.02.2020


 

Der Wunderring von Landin

Ringe haben für die Menschen bis heute eine magische Bedeutung. In Deutschland gab es Bronzeringe in der Frühzeit der Geschichte und später aus Gold. In den Sagen von Dietrich von Bern gibt es einen Ring, der Unsichtbares sichtbar macht und Lessing erzählt in seiner Ringparabel von einem Opalring, der die Kraft hatte, vor Gott und Menschen angenehm zu machen. Der Ring wurde in unserer Zeit immer mehr zum Symbol für Liebe und Treue und deshalb ist es üblich, bei der Hochzeit sich gegenseitig einen Ring an den Finger zu stecken. Der Ring ist ja ohne Anfang und Ende, und so sollte die Liebe auch zwischen den jung verheirateten Paaren sein. In Deutschland trägt man den Verlobungsring links und den Ehering rechts. Bei den Griechen war es aber üblich den Ehering links zu tragen. Man dachte vom linken Ringfinger führte eine Blutader direkt zum Herzen. Wenn man seinen Ehepartner verloren hat, tragen viele Menschen zwei Eheringe an dem Ringfinger der rechten oder linken Hand.

Es wird folgende Geschichte vom Dorfschulzen von Landin, Balthasar Ludwig Corbinius Grünefeld, erzählt. Der Dorfschulze Balthasar heiratete in der kleinen Klosterkapelle auf dem Rütscheberg die wunderschöne Tochter des reichen Bauern Willibald Friedrich aus Buschow. Sie hieß Susanna Veronika Friedrich und war die schönste Frau weit und breit. Der Dorfschulze von Landin war einer der reichsten Bauern in Landin. Er hatte Rinder- und Schafherden und verkaufte das Vieh und das Fleisch und die Wolle im ganzen Land. Knechte und Mägde arbeiteten für ihn im Haus, Hof, Garten und auf den Feldern. Er hatte 12 Pferde und unzählige Schweine, die er im Herbst in den Wald zur Eichelmast schickte.
Auf dem Markt in Rathenow hatte er von einem alten Trödeljuden für ein gut gefülltes Säckchen mit Goldmünzen einen überaus kostbaren Ring gekauft, der, so der Jude, aus der Schatzkammer des Königs Salomo stammen sollte und ein Wunderring sei. Den schenkte er am Hochzeitstag seiner Frau. Seitdem waren die beiden unzertrennlich. Er wurde immer neu von Liebe erfasst, wenn er sie sah. Sie gebar ihm zehn Kinder, die alle gesund und munter ins Leben gingen. Balthasar Grünefeld liebte seine Kinder, aber noch mehr die schöne Susanna. Und doch kommt es im Leben wie es kommen muss. Sei es nun die zehn Schwangerschaften oder eine Krankheit, Susanna legte sich aufs Krankenbett und wollte trotz aller ärztlicher Kunst der Mönche auf dem Rütscheberg nicht wieder genesen. Balthasar wich nicht von ihrer Seite und als sie gestorben war, konnte er sich nicht von ihrem toten Körper trennen. Es lag wie ein Bann über ihm. Er wollte und wollte dem Begräbnistermin nicht zustimmen und die Mönche vom Kloster riefen schließlich ihren Abt, der in das Haus des Dorfschulzen kam und die tote Susanna nach allen Regeln der Kunst untersuchte. Dabei fand er unter ihrer Zunge den Ring, den ihr ihr Mann am Hochzeitstag geschenkt hatte. Er nahm den Ring heraus und von Balthasar fiel es wie ein Zauber ab. Er konnte sich von seiner Susanna trennen und stimmte nun endlich der Beerdigung zu. Von dem Ring aber ist jede Spur verloren gegangen. Ob Balthasar ihn selbst nach dem Tode seiner Frau getragen hat, ist ungewiss.

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.01.2020


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